Ayten Kılıçarslan, Werkstatt-Teilnehmende und Vorsitzende des Sozialdienstes muslimischer Frauen, weist zu Recht darauf hin, dass es an offiziell anerkannten Schwangerschaftsberatungsstellen für Muslim*innen mangelt. Die Schwangerschaftsberatung muss für alle zugänglich sein, unabhängig vom kulturellen Hintergrund oder der religiösen Zugehörigkeit. Muslimische Frauen benötigen oft spezifische Unterstützung, die ihre kulturellen und religiösen Bedürfnisse berücksichtigt. Diskriminierung darf dabei kein Hindernis sein.
In der dazu folgenden Pressemitteilung der Dialogwerkstatt vom 18.11.2024 zeigen Teilnehmende des Dialogexperiments diskriminierende Strukturen auf dem Weg zu einem Abbruch auf – und wollen trotz unterschiedlicher Grundhaltungen gemeinsam Verbesserung erzielen.
Wer eine Schwangerschaft in Deutschland straffrei abbrechen will, muss meistens zuvor in eine verpflichtende Beratung.(1) Doch was passiert, wenn kein Zugang zur Beratung besteht? Dass insbesondere marginalisierte Personen auf dem Weg zu einem Abbruch vor zusätzlichen Herausforderungen stehen, machte die vierte Sitzung der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch deutlich. Die Gruppe aus Mediziner*innen, Selbsthilfegruppen-Leiter*innen, Eltern, Schwangerschaftskonfliktberater*innen und Sexualpädagog*innen zeigte dabei auf, wie sich struktureller Rassismus bei der Beratung zu ungeplanten Schwangerschaften widerspiegelt: in Form von Vorurteilen, mit denen beispielsweise People of Colour konfrontiert werden, durch fehlende Sprachmittlung für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder durch mangelndes Eingehen auf kulturelle oder religiöse Bedürfnisse beispielsweise muslimischer Gemeinschaften. Bei einer rein theoretischen Kritik wollen die Teilnehmenden es nicht belassen: Trotz unterschiedlicher Grundhaltungen in Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch entstand der Wunsch nach gemeinschaftlichem Handeln.
Hohe Hürden auf dem Weg zum Abbruch ungewollter Schwangerschaften
Trotz großer Forschungslücken im Themenfeld konnte die Dialogwerkstatt aufzeigen: Diskriminierungsstrukturen setzen sich auch rund um den Schwangerschaftsabbruch fort. Diese Erkenntnis konnte auch auf Grundlage einer Expertise der Soziologin und Antidiskriminierungsberaterin Anthea Kyere formuliert werden. In ihrer Arbeit zu rassistischen Strukturen im Gesundheitswesen zeigt sie unter anderem Zugangsbarrieren für Betroffene auf, die auch die Teilnehmenden der Werkstatt aus eigener Erfahrung kennen. Dabei diskutierten sie unter anderem fehlende Sprachmittlung in der Beratung und unsichere Personen. Besonders belastend seien diese Umstände für mehrfach marginalisierte Schwangere, wie Cintia Ferreira von Space2groW verdeutlichte: „Die Schwierigkeit für eine Geflüchtete und eingewanderte Frau*, sich in einer Sprache, die sie nicht beherrscht, zu verständigen und verstanden zu werden, ist sehr groß und erzeugt viel Stress. Zusätzlich zum Sprachstress müssen sie eine so schwierige Entscheidung treffen.“ Kritisiert wurde im gemeinsamen Dialog auch die in Beratungsstellen teils fehlende Sensibilität für die Bedürfnisse verschiedener religiöser Communities. Ein pluralisiertes Angebot ist gesetzlich festgelegt (siehe SchKG, § 8). Dennoch, so berichtet Ayten Kılıçarslan, Werkstatt-Teilnehmende und Vorsitzende des Sozialdienstes muslimischer Frauen, gibt es keine offiziell anerkannten Beratungsstellen für muslimische Communities.
Handlungsempfehlungen an Nicht-Betroffene und Aktiv-Werden der Dialogwerkstatt
Woran muss gearbeitet werden, damit alle ungewollt Schwangeren im Rahmen einer Beratung wichtige Informationen erhalten und sensibel aufgeklärt werden? Werkstatt-Teilnehmende formulierten unter anderem zwei Forderungen:
1.) Der Versorgungsschlüssel für Schwangerschaftskonfliktberatung muss erhöht und die Finanzierung (unabhängig von der Beibehaltung der Beratungspflicht) gesichert werden. Dadurch kann vielfältiger aufgestellte Beratung in Hinblick auf unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Religionen ermöglicht werden.
2.) Es braucht gezielte Forschung, die rassistische Strukturen in Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch aufzeigt. Das ermöglicht ein umfassendes, öffentliches und lösungsorientiertes Problematisieren der aktuellen Situation.
Um dies zu erreichen, müssen beratende und medizinische Fachkräfte sowie Entscheidungsträger*innen in die Verantwortung genommen und sensibilisiert werden. Die Teilnehmenden der Dialogwerkstatt sind sich einig, dass das Engagement für Veränderung aus der Mehrheitsgesellschaft kommen muss. Deshalb möchten sie sich künftig – trotz unterschiedlicher Grundhaltungen in der Streitfrage um Abbrüche – gemeinsam für ein in diesem Sinne vielfältigeres Beratungsangebot einsetzen.
[1] 2023 wurden 96 % der in Deutschland registrierten Schwangerschaftsabbrüche nach der sogenannten Beratungsregelung durchgeführt. Ausnahmen gelten, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt. Vgl. Destatis: Pressemitteilung Nr. 164 vom 24. April 2024: 2,2% mehr Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2023. Zuletzt aufgerufen am 17.11.24.
Die Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch ist ein Projekt des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., das bis Dezember 2024 durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.