Ein gesegnetes Opferfest wünschen wir allen Menschen muslimischen Glaubens.

Jedes Jahr versuchen wir beim Opferfest ein festliches Gefühl zu verbreiten. Und jedes Jahr passiert etwas in unserer unmittelbaren Nähe. Letztes Jahr war es die Flutkatastrophe, die beide Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz stark betroffen hat. Damals haben wir einen Spendenaufruf für die Flutopfer gestartet, um unsere Tradition des Teilens auszuüben.

Dieses Jahr fallen in unserer unmittelbaren Nähe Menschen in der Ukraine den Folgen eines unbegreiflichen Krieges zum Opfer. Dabei versuchen wir unsere Prüfung vor Gott zu bestehen, indem wir die Kriegsopfer aus der Ukraine, soweit es unsere Ressourcen zulassen, unterstützen. Auch in mittelbarer Nähe sterben jeden Tag Menschen und brauchen unsere Unterstützung. Einige durch den Hunger, andere aufgrund von Kriegen.

Das Opferfest bietet genau den richtigen Zeitpunkt all dies anzusprechen. Denn es geht zur abrahamitischen Tradition zurück und symbolisiert den Schluss der Tradition mit einem Menschenopfer. Wir möchten auch dieses Jahr daran erinnern, was das Opferfest eigentlich bedeutet und unsere Mitmenschen motivieren zu spenden.

Beim Opferfest wird traditionell ein Tier geschlachtet und an Bedürftige, Nachbar:innen und Angehörige verteilt. Das Opferfest hat in Deutschland keinen guten Ruf. Viele Jahrzehnte war es von Diskussionen um das Schächten begleitet. Zu manchen Zeiten und Orten hat das zu heimlichen Schlachtungen geführt oder dazu, dass Geld ins Ausland geschickt wurde, um dort ein Opfertier zu schlachten und zu verteilen. Diese Praxis hat eine ganze Generation von Muslim:innen in Deutschland, vielleicht sogar zwei vom Geist des Opferfestes entfernt. Dieser Geist entspringt der Geschichte Abrahams, dem Stammvater der drei großen monotheistischen Religionen. Mindestens zwei Kernthemen sind an der Geschichte, dass Abraham Gott seinen Sohn opfern sollte, noch immer aktuell. Hierbei sei dahingestellt, ob es sich dabei um Ismael handelte (wie Muslim:innen glauben) oder um Isaak (wie es für Jüd:innen und Christ:innen ist).

Zum einen hat jedes Menschenopfer mit Abraham ein Ende. Statt seines Sohnes bietet er als glückliche Wendung der bekannten Geschichte Gott schließlich ein Opfertier dar. Als Teil der muslimischen Pilgerfahrt nach Mekka ist uns dieses Ritual bis heute als Opferfest erhalten geblieben. Und wir müssen uns als Menschheit fragen, ob wir Jahrtausende nach Abraham endlich die Tragweite dieser Symbolik in unser Dasein getragen haben. Noch immer sterben Menschen von Menschenhand. Und wir müssen uns fragen, warum wir es seit Abraham nicht geschafft haben, eine Welt zu entwickeln, in der dies ein Ende hat.

Die andere Symbolik, die in der Abrahamsgeschichte steckt, ist die Frage: Was bin ich bereit, für etwas, an das ich glaube, aufzugeben? Das Thema der Opferbereitschaft begleitet uns in so mancher Diskussion der letzten Jahre. Wären wir bereit, auf unsere bequeme Mobilität zu verzichten, um Abgase aus fossilen Energien zu vermeiden? Würden wir für mehr Tierwohl auf billiges Fleisch verzichten? Sind wir bereit, einen Teil unseres Überschusses an Bedürftige hier, aber auch in anderen Ländern abzugeben? Sind wir bereit, auf Teile unserer Freiheit zu verzichten, um die Gesundheit anderer Menschen zu schützen?

Die Abrahamsgeschichte stellt in ihrer Radikalität eine extreme Frage: Bist Du bereit, für etwas, an das du glaubst, dein Liebstes zu opfern? Gleichzeitig mildert dieselbe Geschichte diese Forderung ab, weil schnell verständlich wird, wie fatal diese Frage ist. Nicht mehr das Liebste sollst Du opfern, aber dennoch etwas, das liebsam ist. Und so bleibt die archaisch anmutende Frage, ein Opfer erbringen zu sollen, auch noch in unserer heutigen Welt erstaunlich frisch. Denn wir können uns mittlerweile weder bei Klima-, Tier- noch Gesundheitsschutz vorstellen, dass es gehen kann, ohne dass man etwas Bedeutendes von sich hergibt.