Der Bundesrat stimmte am 07.05.2021 dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten zu. Somit wurde ein Weg geöffnet, den Beamtinnen das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten.

Als Sozialdienst muslimischer Frauen setzen wir uns für das Empowerment muslimischer Frauen ein und sind besorgt, dass diese Entwicklung das Gegenteil erzeugen wird. Wir fürchten, dass dadurch falsche Signale gesetzt werden und damit neue Diskriminierungserfahrungen muslimischer Frauen mit Kopftuch einhergehen. Unsere Beobachtungen in den letzten Jahrzehnten und die Untersuchungen, die sowohl durch die Deutsche Islam-Konferenz in Auftrag gegeben wurden als auch von Unabhängigen zeigen, dass kopftuchtragende Musliminnen mit Migrationshintergrund genügend Nachteile und Diskriminierungserfahrungen erleben. Die Erkenntnisse müssten auch bei der Bundesregierung vorliegen. Die Nachteile beginnen bereits in der Bewerbungsphase. Sie müssen sich viermal so oft bewerben wie Bewerberinnen mit gleicher Qualifikation, ohne Kopftuch und mit einem deutschen Namen. Die Einführung von anonymisierten Bewerbungsverfahren bestätigen dies.

Die Nachteile, die muslimische Frauen bisher hinderten, in der Gesellschaft eine bessere Stellung zu übernehmen, sind auszugleichen, statt neue Nachteile zu schaffen. Solche Regelungen, wie diese, setzen hingegen falsche Signale für heranwachsende muslimische Frauen, die bereit und willig sind, sowie die nötigen Qualifikationen mit sich bringen, um Aufgaben im öffentlichen Dienst zu übernehmen.

Das politische und gesellschaftliche Polarisierungs- und das Spaltungspotenzial dieser Thematik, bringt uns vor zusätzliche Diskriminierungen, schädigt das Zusammenleben und entspricht nicht dem Inklusionsgedanken. Alle Bemühungen in der Frauenförderung werden dadurch zu Nichte gemacht.

Die Aussagen, in dem vom SmF an den Bundespräsidenten eingereichten Mosaik der Vielfalt, zeigen die Bereitschaft, sich einzubringen (Mosaik der Vielfalt – Sozialdienst muslimischer Frauen (smf-verband.de)). Zugleich zeigen sie, welche Ängste und Sorgen Frauen haben und welche Wahrnehmung solche Verbote bei ihnen auslösen.

Auf die Frage „Wie stellst du dir deine Zukunft in Deutschland vor?“ antwortet beispielsweise Esra-Ayşe aus Heubach: „Eine Zukunft die Chancengleichheit für alle Frauen bietet, mit und ohne Kopftuch.“ Rania aus Kempten wünscht sich als Frau mit Kopftuch und Mutter keine Benachteiligung im Berufsleben. Rasha aus Freiburg will keinen Rassismus und fügt hinzu „Ich werde immer wegen meinem Kopftuch angesprochen. Ich will keine Rechenschaft mehr abgeben.” Taibe aus Krefeld wünscht sich einen „Widerruf des Kopftuchverbotes am Arbeitsplatz und Streichung von § 219a aus dem Strafgesetzbuch.“ Sara aus Renningen wünscht sich, „dass in Deutschland Vielfalt als Bereicherung wahrgenommen wird.“ Fatima sagt: “Ich wünsche mir keinen Rassismus, weder in der Schule noch auf der Arbeit. Mein Kopftuch bedeckt meine Haare und nicht mein Gehirn.”

Die obigen Beispiele bilden keine Ausnahmen. Wie viele Frauen potenziell darunter leiden könnten, zeigt die am 28. April bekannt gegebene Studie “Muslimisches Leben in Deutschland 2020 (MLD 2020)”. Demnach tragen 30 % der Musliminnen ein Kopftuch. Bei den jungen Frauen bis 25 Jahre beträgt der Anteil ungefähr ein Viertel und bei den 26- bis 65-Jährigen rund 40 %. Nicht alle Frauen, die zwischen 16-65 Jahre alt sind und erwerbsfähig wären, wollen im öffentlichen Dienst tätig werden. Dennoch haben sie auf dem Arbeitsmarkt insgesamt schlechte Chancen.

„Von den muslimischen Frauen, die aus Südosteuropa stammen, trägt kaum eine Frau ein Kopftuch (7 %). Mit einem Anteil von 47 % bzw. 46 % tragen Frauen aus den Herkunftsregionen Nordafrika und Naher Osten dagegen überproportional häufig ein Kopftuch. Danach folgen Musliminnen, die aus dem Mittleren Osten (40 %) und der Türkei (30 %) stammen.“ (S. 117)

5 % der befragten Alevitinnen und 17 % sonstige Glaubensrichtungen tragen ein Kopftuch. Unter den Sunnitinnen, die die größte muslimische Glaubensgruppe in Deutschland bilden, trägt rund ein Drittel der Frauen ein Kopftuch. Bei der zahlenmäßig kleinen Gruppe der Ahmadis trägt hingegen deutlich mehr als jede zweite Frau ein Kopftuch.

Wir sind uns nicht sicher, ob sich alle Mitglieder des deutschen Bundestags, die für diese gesetzliche Änderung stimmten oder sich zurückgehalten haben den Dimensionen für die potenziell Betroffenen bewusst sind. Wir sind uns nicht sicher, ob sich die Politiker:innen darüber bewusst sind, welchen Unmut diese Änderung bei den gebildeten Frauen auslösen kann. Wir sind uns aber sicher, dass sich in einem Land, das sich durch Diversität auszeichnet, die Vielfalt in allen Strukturen, also auch im Öffentlichen Dienst, wiederfinden lassen sollte.

Und wir hoffen, dass unser Bundespräsident als letzte Instanz diese Änderungen mit spalterischem Charakter nicht unterschreibt und dadurch einen Austausch mit den betroffenen Bürgerinnen und den Mitgliedern des Bundestags ermöglicht, der im Vorfeld nicht stattgefunden hat.