Mosaik der Vielfalt

07.05.2021

Was entsteht, wenn man Hunderte Haupt- und Ehrenamtliche in der sozialen Arbeit – vorwiegend mit Migrationsgeschichte – um ihre ganz persönliche Botschaft an den Bundespräsidenten bittet? Ein Mosaik der Vielfalt!

Ein solches Mosaik mit 172 Zitaten samt Fotos der Verfasser:innen überreichten Vertreterinnen des SmF dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seiner Ehefrau Elke Büdenbender als Gastgeschenk in der Villa Hammerschmidt. Die Gestalterin dieses Mosaiks, Esra Ayşe Ayaydın, hat es vielleicht am treffendsten beschrieben. Sie sagte: „Es sind Zitate, die zum Nachdenken anregen, die den Leser mal freudig, mal traurig und mal stolz stimmen, in all der Vielfalt, wie wir denken und fühlen als engagierte Menschen, Frauen wie Männer.“

„Mit herzlichen Grüßen an den Bundespräsidenten“ wird in der Mitte des Mosaiks das Motto zusammengefasst: „Zusammenrücken und die Kreise enger schließen, für ein gemeinsames Verständnis und für Vielfalt.“

Und tatsächlich finden sich von „Ein Zusammenleben ohne Ihr und Wir“ bis „Zeitnah ein Impfstoff für alle“ die unterschiedlichsten Wünsche und Gedanken auf dem Mosaik. Eine Zusammenfassung dieser Vielfalt ist fast gar nicht möglich. Eine echte Vielfalt eben. Doch der Reihe nach.

Was verbindest Du mit Deutschland?

Den Befragten wurden fünf Fragen zur Auswahl gestellt. Ihr Statement, festgehalten in einem Zitat, sollte sich auf eine der Fragen beziehen. „Was verbindest Du mit Deutschland?“ war die erste Frage.

In den Zitaten ist Deutschland die Heimat der Befragten und ihrer Kinder, in der sie sich wohl und glücklich fühlen, gerne leben, ein soziales und demokratisches Land mit vielen Möglichkeiten, wie Sicherheit, Freiheit und Zukunft. Das Zitat „Mit Deutschland verbinde ich Heimat, aber auch das Fremdsein“ verdeutlicht aber auch die Ambivalenz mancher.

Deutschland wird mit vielen Werten verbunden. Das Land steht für Disziplin, Regeln und Fleiß, aber auch für die Möglichkeit für seine Ziele zu kämpfen, Chancen für die Kinder zu bieten. Wohlstand, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Menschenrechte und Demokratie sind wiederholt genannte Güter. Es ist ein sicherer Hafen, auch für Meinungs- und Pressefreiheit mit vorbildlicher Beachtung der Menschenrechte. Die Aktivität vieler Menschen gegen Diskriminierung und Rassismus, aber auch die Förderung des Ehrenamts werden als Plus in diesem Land genannt.

Stimmen der Geflüchteten unter den Haupt- und Ehrenamtlichen äußern sich dankbar: „Deutschland bot mir eine neue Chance, ein besseres Leben zu führen.“ Und „Wir danken Deutschland, das uns die Tür öffnete, um hier zu leben, nachdem wir wegen Krieg viel verloren haben.“ Dankbarkeit klingt auch hier heraus: „Über die Chancen, die mir Deutschland als moderne muslimische Frau gegeben hat, bin ich sehr dankbar!“

Die vielen positiven Verbindungen zu Deutschland verwundern im ersten Augenblick dann doch. Sichtbar wird, dass es sich hier um eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen handelt, nämlich jener, die sich im sozialen Bereich engagiert. Es zeigt sich in dieser Gruppe ein Deutschlandbild, auf das man Hoffnungen setzt. Soziales Engagement kann etwas für mich und andere bewirken. Dies ist das optimistische, hoffnungsvoll stimmende Teilbild einer ausgewählten Gruppe von Engagierten.

Wer oder was hat dein Leben zum Positiven verändert?

Für eine positive Einschätzung des eigenen Lebens spielen die Menschen in unserem Umfeld eine vorrangige Rolle. „Gibt es irgendeine Person oder Ereignis, die/das dein Leben in Deutschland zum Positiven verändert hat?“ war die zweite Frage, auf die die Befragten antworten konnten.

Für den einen war es „Mein Vater, der als Gastarbeiter mit nur einem Koffer kam und große Herausforderungen auf sich nahm, um uns eine bessere Zukunft zu geben.“ Für eine andere war es „Meine Klassenlehrerin, die mich motiviert hat, Bildungschancen zu ergreifen und zu nutzen.“ So scheinen Lehrer*innen unterschiedlicher Institutionen des Öfteren bedeutend im Leben von Menschen gewesen zu sein, die sich neu orientieren wollen: „Durch die Unterstützung meiner Deutschlehrerin, habe ich in fünf Monaten Deutsch gelernt. Wir sind heute noch befreundet. Danke Arete.“

Richtungsweisende Erlebnisse mit Menschen können aber auch aus einer ganz anderen Richtung kommen, von Menschen, die ein schweres Schicksal erlitten haben. Für manche ist dies ein Ansporn: „Ich lernte drei Auschwitzüberlebende kennen. Seitdem sehe ich es als meine Pflicht an, muslimische Frauen zu Akteurinnen in der Erinnerungskultur zu machen.“

Bisweilen sind es kleine Gesten, die Meschen dazu bewegen, sich angenommen und zu Hause zu fühlen: „Ich hatte vor kurzem Geburtstag. Da hat mir eine Mutter aus der Klasse meines Sohnes auf Arabisch gratuliert. Ich war so glücklich. Muslime gehören zu Deutschland.“

Für manche ist es die Liebe eines Menschen, die ihnen Halt gibt: „Meine deutsche Frau hat meinen anfänglichen Herausforderungen in Deutschland einen Sinn gegeben.“

Welche Veränderung wünschst du dir?

Jene, die eine Antwort auf die Frage „Welche Veränderung wünschst du dir?“ gaben, sind besonders um den Zusammenhalt in der Gesellschaft besorgt. Sie wünschen sich eine „Klare Stellung gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung.“ Sie wünschen sich für „die Zukunft in Deutschland ein Miteinander der Menschen in Harmonie“ und dass „alle Menschen friedlich zusammenleben ohne Spaltung zwischen verschiedenen Volksgruppen“. „Eine sichere Zukunft für meine Familie ohne jegliche Vorurteile und Anfeindungen“ ist genauso wichtig, wie dass sie nach ihren Leistungen benotet werden und nicht nach ihrer Herkunft.

Es gibt eine Bereitschaft zur Integration, die „nicht gleichgesetzt wird mit der Assimilation. Bunt ist schöner als braun!“

Die Aussage „Ein Mensch sollte nicht nach äußeren kulturellen Aspekten beurteilt werden, sondern nach seinem Können und Engagement in der deutschen Gesellschaft“ zeigt die Einsatzbereitschaft für soziale Belange. Sie stellen sich gegen eine Umdeutung ihres Engagements und möchten eine positive Deutung ihres Hierseins: „Ich wünsche mir, dass Vielfalt und Diversität in Deutschland als Bereicherung wahrgenommen werden und nicht als Integrationsproblem.“

Manche adressieren ihre Appelle auch direkt an den Bundespräsidenten. Von seinem Einsatz versprechen sie sich eine positive Wirkung in der Gesellschaft: „Wie jede andere Religion gehört auch der Islam zu Deutschland. Mit einer solchen Aussage des Staatsoberhaupts würden Muslime es sichtlich einfacher haben akzeptiert zu werden.“

Der am häufigsten benutzte Appell richtet sich gegen eine Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch: „Ich wünsche mir keinen Rassismus, weder in der Schule noch auf der Arbeit. Mein Kopftuch bedeckt meine Haare und nicht mein Gehirn.“ Hier zeigt sich die Sorge, nicht als Individuum angesehen zu werden, obwohl dieses Land mit seinen Möglichkeiten anderes verspricht: „Deutschland ist ein demokratisches Land, deshalb möchte ich im Job mein Kopftuch tragen.“ Auch hier ist die Bereitschaft erkennbar, selbst etwas zu leisten, wenn am Ende die Anerkennung steht: „Ich möchte besser Deutsch können, damit ich einen guten Ausbildungsplatz bekomme. Dabei wünsche ich mir, dass mein Kopftuch keinen Ablehnungsgrund darstellt.“ So ist die klare Forderung für die Zukunft: „Keine Diskriminierung mehr gegen Frauen mit Kopftuch!“

Die Sorge gilt dann auch der Zukunft der Kinder: „Ich bin auch sehr gerne in Deutschland, ich mache mir nur Sorgen um Rassismus. Ich möchte nicht, dass meine Kinder sich hier in Deutschland fremd fühlen, sondern Sie sollen sich wie zu Hause fühlen.“

Es zeigen sich bei Vielen auch Ermüdungserscheinungen, weil sie immer wieder gegen die gleichen Dinge ankämpfen müssen: „Ich möchte mich nicht andauernd beweisen und erzählen müssen, woher ich komme. Ich bin ein Teil dieser Gesellschaft. Dafür arbeite ich und liebe die Vielfalt in unserer Gesellschaft.“

Darüber hinaus wünschen sich viele solche Veränderungen, wie sie auch von der allgemeinen Bevölkerung angemahnt werden. Hierzu einige Beispiele: „Höchste Strafen für Kinderschänder und die Abschaffung der Waffenproduktion.“ „Die Potentiale in unserer Gesellschaft könnten besser genutzt werden, wenn wir uns gegenseitig mehr zutrauen, statt uns zu entmündigen.“ „Ich wünsche mir von der deutschen Politik mehr Freizeit und Sportangebote auch für Frauen.“ „Ich wünsche mir mehr Mut bei der Umsetzung der Klimaschutzziele. Für unsere Welt gibt es keinen Plan B.“ „Ich wünsche mir mehr Nächstenliebe statt Ellenbogengesellschaft.“

Besonders Bildungs- und Berufschancen liegt vielen am Herzen: „Bildung ist in Deutschland immer noch ein Stiefkind. Unsere Kinder sind unsere Zukunft und unser Schatz. Also Förderung der Bildung unserer Kinder first!“ „Ich wünsche mir, dass ich mich unbürokratischer fortbilden kann.“ „Ich wünsche mir ein reformiertes und effektiveres Sprachschulsystem.“ „Gleiche Zugangsmöglichkeiten zur Bildung für alle Menschen“ „Mehr Unterstützung und Förderung für Bildung und Weiterbildung“. Und: „Chancengleichheit für Kinder, in frühkindlicher Bildung und Förderung.“

Und immer wieder scheint die Bereitschaft zur Eigenleistung durch: „Ich möchte etwas zurückgeben an das Land, dass mir ein Studium ermöglicht hat.“

Besonders in der Corona-Pandemie ist eine Berufsgruppe besonders in den Fokus gerückt: „Gerechtere Entlohnung für die Pflege, angemessener Betreuungsschlüssel, sozial agierende Krankenhäuser.“ Hierzu gibt es auch Veränderungswünsche für die eigene Community: „Die Pflege von muslimischen Senioren in Einrichtungen braucht mehr als trainierte Kultursensibilität. Die Islamische Wohlfahrt wäre die richtige Lösung.“

Wie stellst du dir deine Zukunft in Deutschland vor?

Ein Deutschland ohne Diskriminierung und Rassismus ist die vorrangige Vorstellung vieler Befragten. Viele stellen sich vor, wieder den Status zu bekommen, den sie in ihrem Herkunftsland hatten: „Ich möchte in Deutschland meinen alten Beruf, Lehrer, wieder ausüben.“ Es wurde auch der Wunsch einer Zukunft in Normalität formuliert: „Ich wünsche mir, in Deutschland Wurzeln zu schlagen und eine Familie zu gründen.“ Diese Zukunft ist für viele aber mit Angst verbunden. Sie stellen sich vor, „dass Menschen, die eine Arbeit/Ausbildung angefangen haben, nicht einfach abgeschoben werden.“

Die Vorstellung „Unsere Zukunft liegt im Zusammenhalt!“ bekommt bei manchen auch pathetische Züge „Das farbenreiche Deutschland soll nicht erblassen und weiterhin mit all seinen Farben strahlen!“ Und: „Multikulti, Emanzipation und gegenseitiger Respekt“.

Und immer wieder sind es die Zukunftschancen, die erträumt werden: „Ich stelle mir in Zukunft ein sicheres finanzielles Leben vor, das mir das Studium in Deutschland bietet.“

Und ein allgemeineres Anliegen: „Meine Zukunft in Deutschland stelle ich mir ‚digitalisiert‘ vor.“

Was erwartest du von der deutschen Politik oder Gesellschaft?

Die Befragten formulierten klare Forderungen an die Politik und Gesellschaft: „Gewährleistung einer Jugendquote in Politik und höheren Positionen.“ Sie möchten „Viel mehr Frauen in den dominanten Männer-Parteien.“ „Frauen sollten anerkannt werden, bessere Löhne und Führungspositionen.“

Es wird auch die Ansicht vertreten, dass Vielfalt als Idee nicht gut genug vermittelt wird: „Vielfalt kann zur Bereicherung führen und das sollte vor allem von der Politik besser vermarktet werden.“ „Ich erwarte von der deutschen Politik, dass dort auch die vielfältige Gesellschaft abgebildet ist.“

Die befragten fordern: „Eine konsequentere Verfolgung und Aufklärung von rechtsextremen Straftaten in den staatlichen Organen.“ Sie möchten ein „Einstehen für eine diverse Gesellschaft und deren Verteidigung.“

Was noch zu sagen bleibt

173 Frauen und Männer, Jung und Alt, mit und ohne Migrationsgeschichte, Geflüchtete und bereits in Deutschland fest Verwurzelte wollten eine Botschaft an den Bundespräsidenten richten. So entstand das Mosaik der Vielfalt. Hier konnten die Gedanken und Wünsche nur in den Grundzügen wiedergegeben werden. Aber schon dieser kleine Ausschnitt der Zitate zeigt: Im Umfeld des Sozialdienst muslimischer Frauen engagieren sich Menschen, die voller Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft blicken. Ihre Hauptsorge gilt aber der Diskriminierung und dem Rassismus und einem Ausgegrenztsein, das nicht mehr zu rechtfertigen ist. Es handelt sich nämlich um sozial engagierte Menschen, die sich für andere Menschen einsetzen wollen. Insbesondere ihr gesellschaftliches Engagement und die Anerkennung ihrer Leistungen führen zu einer hohen Motivation, seinen Beitrag für die gesamte Gesellschaft zu leisten.

So wird das Motto des „Mosaik für Vielfalt“ zu einem Versprechen. Die Befragten möchten „zusammenrücken und die Kreise enger schließen, für ein gemeinsames Verständnis und für Vielfalt.“ Diese Forderung richtet sich an alle Richtungen, an die Mehrheitsgesellschaft genauso wie an die eigne Community. Wir sollten, ja wir können auf das Engagement dieser Menschen bauen.