Vertreterinnen des Sozialdienstes muslimischer Frauen konnten am Dienstag dieser Woche (27. April 2021) als Gäste beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seiner Ehefrau Elke Büdenbender zahlreichen Belangen muslimischer Frauen eine Stimme verleihen. Zwar war dieses Treffen ursprünglich als Iftar-Einladung für 2020 geplant, zu der der Herr Bundespräsident seine Teilnahme als Ehrengast zugesagt hatte. Die Corona-Bedingungen erlaubten jedoch nur den Besuch von drei Vertreterinnen in der Villa Hammerschmidt. Als SmF hatten wir ein Fastenbrechen geplant, an dem die Engagierten der SmF Ortsvereine und Vertreterinnen der muslimischen Zivilgesellschaft sowie der Frauenorganisationen zusammenkommen sollten. Für viele muslimische Frauen wäre dies eine erstmalige Gelegenheit zu einem Austausch auf höchster Ebene der Politik geworden. Trotz Verschiebung des Plans auf Ramadan 2021 war ein Fastenbrechen in größerer Gruppe nicht möglich. So wurden wir als kleiner Kreis von Vertreterinnen des SmF-Bundesverbandes vom Herrn Bundespräsidenten und Frau Büdenbender zu einem Empfang eingeladen.

Der Bundespräsident und seine Ehefrau begegneten den Ausführungen über die Probleme und das Engagement von muslimischen Frauen mit viel Empathie und Interesse. Wir möchten hier nun berichten, mit welchen Themen und Positionen wir an unseren Bundespräsidenten herangetreten sind.

Ältere Migrant:innen bei Impfungen unterstützen

Die Berichterstattung über das Treffen war sehr vom öffentlichen Teil des Empfangs geprägt. Darin hatte der Bundespräsident sowohl das Engagement des SmF als auch das Verhalten der Religionsgemeinschaften in der Pandemie gelobt: „Und ich weiß, dass Sie auch viele Gespräche mit muslimischen Familien führen, Überzeugungsarbeit leisten. Und dafür sind wir Ihnen dankbar. Wie ich auch den Religionsgemeinschaften ganz unterschiedlicher Glaubensrichtungen dankbar bin dafür, dass sie sich an nicht nur die Disziplin, die gefordert ist, halten, sondern, dass sie auch dafür werben, dass wir in dieser Situation Geduld bewahren.“

Der Bundespräsident machte seine Überzeugung deutlich, dass der Weg aus der Krise nur durch Fortschritte beim Impfen zu gewinnen sei.

Bei der Impfung wie auch in der Pandemie allgemein, haben wir Bevölkerungsgruppen, die noch immer durch die Fülle der Informationen und ihre Unübersichtlichkeit verunsichert sind. Und so sind die Standorte des SmF zurzeit sehr damit beschäftigt vor allem Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund über Impfmöglichkeiten aufzuklären und sie bei der Organisation von Terminen zu unterstützen.

Engagement des SmF in der Corona-Pandemie

Wir berichteten dem Präsidenten von unseren Bemühungen seit Beginn der Pandemie. Hierzu gehörte sowohl eine Corona-Linksammlung in verschiedenen Sprachen als auch eine Telefonumfrage unter ca. 450 Patinnen und Paten. Wir wollten als SmF wissen, wie es unseren ehrenamtlich Engagierten und ihren Mentees zu Zeiten von Corona sozial und mental ging. Hierbei kam die erste umfassende Untersuchung zu sozial Benachteiligten und Ehrenamtlichen in der Corona-Krise, also ihre Situation in der Pandemie und durch den Lockdown, heraus.

In der letzten Zeit häuften sich die Berichte, dass es erhöhte Fallzahlen bei den Infektionen unter Migrant:innen gebe. Wir sehen das als ein Ergebnis sozialer Ungleichheiten. Die ungünstigen Lebensbedingungen wie die beengte Wohnsituation in den Familien, eine größere Ansteckungsgefahr in Unterkünften für Geflüchtete oder Arbeitsverhältnisse, die weniger Homeoffice erlauben sind die Hauptursachen der Verbreitung in bestimmten Milieus. Aufgrund von Sprachschwierigkeiten ist für viele ebenso der Zugang zu aktuellen Informationen und Schutzbestimmungen erschwert.

Wir sehen auch Desinformation und fehlende zuverlässige Ansprechpartner als ein weiteres gravierenderes Problem. Die Menschen haben Fragen, die beantwortet werden sollten: Ist die Impfung gefährlich? Kann ich meinen Impfstoff selbst auswählen? Wie melde ich mich in Onlineportalen zur Impfung an? Daher möchte der SmF mit seiner hohen Anzahl an migrantischen Ehrenamtlichen Menschen erreichen, die vielleicht durch andere Angebote schwerer zugänglich sind. So bietet der SmF insbesondere bei Älteren eine Unterstützung dabei, sich einen Impftermin zu besorgen.

Ehrenamt von Muslim:innen sichtbar gemacht

Der Bundespräsident sprach seinen Dank dafür aus, dass Organisationen wie der SmF die muslimische ehrenamtliche Arbeit erst sichtbar gemacht haben. Hierbei ist die Rolle der Frauen für das Ehrenamt und die muslimische Wohlfahrt besonders hervorzuheben. Auf die Frage des Bundespräsidenten, warum wir den Sozialdienst muslimischer Frauen gegründet hätten, machten wir deutlich, dass wir uns und unsere Mitstreiter:innen als Pioniere der muslimischen Wohlfahrt sehen. Genauso wie die Wohlfahrt in Deutschland aus der Arbeiter- und Frauenbewegung hervorgegangen ist, sehen wir heute eine besondere Rolle bei den muslimischen Frauen. Sie treten stärker aus dem Schatten männerdominierter Organisationen hervor und handeln praxisorientiert im sozialen Feld. Innerhalb kurzer Zeit zeigten sich hier beträchtliche Erfolge.

Kultursensibles Frauenhaus unter muslimischer Trägerschaft für alle

Wir betonten, dass der SmF seit seiner Gründung die Einrichtung eines kultursensiblen Frauenhauses in muslimischer Trägerschaft anstrebt. Trotz der Möglichkeit, eine entsprechende Bundesförderung zu erhalten, wenn Landesstellen dies unterstützten, scheiterte dies bisher an den zuständigen Stellen im Land Nordrhein-Westfalen. NRW sperrt sich der Einsicht, dass ein Frauenhaus in muslimischer Trägerschaft zur Angebotsvielfalt in diesem Feld gehört und begründet dies mit der quantitativen Abdeckung der Bedarfe. Dabei können mit einem religions- und kultursensiblen Frauenhaus in muslimischer Trägerschaft insbesondere traditionell religiöse Frauen erreicht werden, da unter ihnen eine hohe Skepsis gegenüber bestehenden Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen herrscht. Ein Angebot von Musliminnen für Musliminnen bei gleichzeitiger Einbindung der gesamten Hilfelandschaft kann hier eine höhere Akzeptanz und eine bessere Erreichbarkeit der von Gewalt betroffenen Frauen erreichen.

Wir haben diesbezüglich über unsere Erfahrungen in der Frauenberatung, die zurzeit nicht gefördert wird, aber als ein Querschnittsthema in allen Handlungsfeldern zum Vorschein kommt, berichtet. Wir haben das Angebot #savewoman, das im Rahmen des „Menschen stärken Menschen“ Programms entstand, vorgestellt. Frauen in Gewaltsituationen können sich beraten lassen. Ihnen wird eine Begleitung im Rahmen des Patenschaftsprogramms ermöglicht, sowie Nachsorgeleistungen für diejenigen unter ihnen, die aus dem Frauenhaus kommen und eine enge Unterstützung und Begleitung brauchen.

Bedeutung des „Menschen stärken Menschen“ Programms

Wir machten in unserem Gespräch deutlich, dass Förderungen für die haupt- und ehrenamtliche soziale Arbeit von entscheidender Bedeutung sind. Ein nachhaltiger Aufbau eines Engagements muslimischer Akteure ist ansonsten kaum möglich.

So wurden durch das „Menschen stärken Menschen“ Programm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend viele Patenschaften erst möglich. Das Projekt „Patenschaft – Praxis – Qualifizierung“ des SmF hatte seit 2018 etwa 720 ehrenamtliche Pat:innen nicht nur dabei gestärkt, über 4.500 Geflüchtete und sozial benachteiligte Menschen zu unterstützen. Durch das Programm konnten die bereits engagierten Menschen unter hauptamtlicher Koordinierung in ihrem Engagement begleitet und gestärkt werden. Dies war auch eine Motivation und Mobilisierung vieler unserer größtenteils migrantischen Pat:innen selbst, die sich erstmals in ihrem Engagement anerkannt und in der Gesellschaft angekommen fühlten. So machte das „Menschen stärken Menschen“ Programm das Engagement vieler erst sichtbar.

Durch dieses Programm wurden von allen Trägern bundesweit über 125.000 Menschen mit Hilfeangeboten erreicht. Für sie und viele Weitere ist eine Weiterführung dieses Programms von großer Bedeutung.

Mosaik der Vielfalt

Nachdem klar wurde, dass ein Fastenbrechen (Iftar) nicht stattfinden kann aber die Botschaften in Vertretung überbracht werden müssen, konnten innerhalb weniger Tage 173 Zitate und Bilder von einigen der haupt- und ehrenamtlich Engagierten, darunter viele Pat:innen, gesammelt werden. Das „Mosaik der Vielfalt“ ist ein Symbol unserer vielfältigen Akteure und ihres Engagements. (Hierzu morgen mehr in einem eigenen Beitrag.)

Im Gespräch machten wir deutlich, dass der SmF sowohl bei seinen haupt- und ehrenamtlich Engagierten als auch bei seinen Zielgruppen offen für alle Ethnien, Religionen und Geschlechter ist und unterschiedliche Zielgruppen erreicht. Auch wenn wir uns als Frauenorganisation verstehen, richten wir als Wohlfahrtsorganisation unsere Dienste auch an Männer. So sind etwa 40% unserer Ehrenamtlichen Männer. Die aktuelle Information, dass wir im Februar als erster Frauenverein beim Bundesforum Männer als Mitglied aufgenommen wurden und dort die Belange muslimischer Väter vertreten möchten, sorgte für Aufheiterung. Wir betonten, dass die Solidarität von Männern das Empowerment von Frauen unterstützt. Wir möchten Väter, vor allem muslimische, in ihrer Rolle stärken, ohne dabei patriarchale Strukturen zu fördern. Wir stehen für die gewaltfreie Kommunikation, Erziehung und Beziehung zwischen Menschen ein.

Moscheegemeinden sind bereit zur Öffnung

Auf die Frage nach der Öffnung von Moscheegemeinden gegenüber der Gesellschaft vertraten wir die Auffassung, dass trotz der Diskussionen um muslimische Verbände und der bekannten Problematiken, die Mehrzahl der Moscheegemeinden vor Ort bereit zu mehr Öffnung und Zusammenarbeit in der Gesellschaft sind.

Eine der Schwierigkeiten besteht unserer Auffassung nach darin, dass muslimische Gemeinschaften aufgrund des Drucks aus unterschiedlichen Seiten vorwiegend in der Defensive agieren und ihr Engagement wenig sichtbar machen können oder sich nach außen verschließen. Wer wie im Ballspiel in der Defensive agieren muss, kann kaum in die Offensive treten und sich öffnen, um neue Ziele zu erreichen und – um im Beispiel zu bleiben – Tore zu erzielen.

Interesse für die Sorgen der Muslime im Ramadan

Voller Empathie äußerte sich der Bundespräsident für das muslimische Leben im Ramadan. In seiner Einführungsrede betonte er: „Was bedeutet eigentlich Corona Bedingungen für Menschen muslimischen Glaubens, die ja nicht nur einen Fastenmonat begehen, der die Erwartung auf das Ende von Verzicht bedeutet, sondern es ist ja eben neben der Hoffnung auch das Wiederfinden von Gemeinsamkeit, es ist ja eben auch ein großes Gemeinschaftsfest, insbesondere das Zuckerfest am Ende. Das fehlt Ihnen.“ Der Bundespräsident dann weiter: „Und glauben Sie mir, ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass auch Sie mit vielen anderen für Aufklärung sorgen innerhalb des muslimischen Teils der Gesellschaft, welche besonderen Hygienebedingungen unter diesen gegenwärtigen Corona-Bedingungen einzuhalten sind.“

Der Fastenmonat der Muslime, der ansonsten von Gemeinschaft, gegenseitiger Solidarität durch Speisungen von Bedürftigen oder vielen anderen wohltätigen Aktionen geprägt ist, findet aufgrund der Pandemie-Beschränkungen nunmehr zum zweiten Mal in gedämpfter Stimmung und begrenztem Aktionsradius statt. Die traditionellen gegenseitigen Einladungen im Ramadan sind für Muslime ebenfalls nicht möglich. Wir machten deutlich, dass der Ramadan aber eben auch Verzicht bedeutet, über den wir einen Monat im Jahr besser wertschätzen können, welche Möglichkeiten und Ressourcen wir ansonsten haben.

60 Jahre Migration und Zugehörigkeit der Muslime

Im Gespräch ging Bundespräsident Steinmeier auch auf das deutsch-türkische Anwerbeabkommen ein. In diesem Jahr werden wir auf 60 Jahre Migration von türkischen und damit vorwiegend muslimischen Migrant:innen zurückblicken.

Wir machten im Gespräch deutlich, dass beim Thema Migration viel zu wenig auf die vielen Frauen unter den Migrant:innen eingegangen wird. Das Thema Arbeitsmigration und die Betonung von Fabrikarbeit, Bergbau und Bauwesen stellen die Rolle der Frauen zu sehr in den Schatten. Wir plädierten dafür, beim Rückblick auf 60 Jahre Migration die Bedeutung der Frauen stärker in den Fokus zu nehmen. Da wir keine Gäste mehr sind und als Teil dieser Gesellschaft bisher mitgewirkt haben, sollten die bisherigen Bemühungen auch gewürdigt werden.

In diesem Zusammenhang betonte der Bundespräsident im Hinblick auf ein in der Vergangenheit heftig diskutiertes Thema, dass Muslime natürlich zu Deutschland gehörten.

Zerrüttete Familien in der Migration

Im Rückblick auf die 60 Jahre Migration und die Migrationsgeschichte führten wir aus, dass bei der Diskussion um Integrationswilligkeit die besondere familiäre Situation vor allem der türkischen Migrant:innen zu wenig Beachtung findet. Nahezu die Hälfte der zweiten Generation von türkischen Einwander:innen lebten in Trennungssituationen durch wechselseitige Aufenthalte zwischen der Türkei und Deutschland. Kinder und Jugendliche waren über lange Strecken von ihren Eltern getrennt, fühlten sich daher wenig geliebt oder angenommen. Dies führte zu vielen zerrissenen und zerrütteten Familien. Diese zweite Generation war es dann, die die dritte Generation großzog. Hierin sehen wir einen wichtigen Faktor für das soziale Gefüge, das auch beim Bundespräsidenten besonderes Interesse erregte.

Für Zusammenhalt und Öffnung in der Gesellschaft

Nach dem Gespräch wurden wir mit der Frage konfrontiert, ob wir über Rassismus, Diskriminierung, Islam und Muslimfeindlichkeit gesprochen hätten. Die gegenwärtig viel diskutierte strukturelle und personelle Diskriminierung und das Problem des Alltagsrassismus haben wir aus zeitlichen Gründen im Verlauf des Gespräches nicht mehr explizit angesprochen. Denn Herr Steinmeier konnte bisher mit seinen Aussagen und seiner Haltung immer wieder deutlich machen, dass Rassismus und Diskriminierung in Deutschland keinen Platz haben und bekämpft gehören. Wir haben uns innerhalb der für uns reservierten Zeit auf Themen fokussiert, die unsere Engagementbereiche in der sozialen Arbeit betreffen und bisher in gesellschaftlichen Diskursen wenig Beachtung fanden.

Dabei gibt es zu den Themen Diskriminierung und Rassismus ein besonderes Engagement aus dem „Menschen stärken Menschen“ Programm des BMFSFJ. Nach den Morden von Hanau hatte sich hier eine Arbeitsgruppe gebildet, die nun in Trägerschaft des SmF und mit Förderung des Familienministeriums in ein Projekt „Initiative Haltung zeigen – Vielfalt stärken“ überführt werden konnte. Wir machten aber deutlich, dass wir als SmF dazu bereit sind, unseren Beitrag zu mehr Zusammenhalt und Öffnung in der Gesellschaft zu leisten.

Wir übernehmen Verantwortung

Wir blicken auf ein Gespräch mit unserem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seiner Ehefrau Elke Büdenbender zurück, das von ernsthaftem Interesse, Empathie und Wertschätzung geprägt war. Es war ein Gespräch, das uns als Sozialdienst muslimischer Frauen gezeigt hat, dass unsere Arbeit sichtbar ist und voller Anerkennung angenommen wird.

Im Gespräch haben wir noch einmal betont, dass wir nicht auf Dauer die Brückenfunktion zwischen Migrant:innen und der Mehrheitsgesellschaft übernehmen wollen. Wir wollen selbst aktiv sein und als muslimische Zivilgesellschaft unseren Beitrag in der Gesellschaft leisten. Der Begriff „Gastarbeiter“ gehört schon lange der Vergangenheit an und bezieht sich auf eine Generation, auf die wir voller Hochachtung und Wertschätzung zurückblicken, die wir aber längst hinter uns gelassen haben. Denn wer als Gast da ist, wird irgendwann verabschiedet. Wir sind aber längst keine Gäste mehr.

Wir müssen es gemeinsam schaffen, dass Staat und Gesellschaft sehen, dass Musliminnen und Muslime längst Partner sind und keine Randgruppe.