Wie erging es muslimischen Inhaftierten im KZ-Dachau bei München? Warum hatten die Nationalsozialisten sie überhaupt in dieses Konzentrationslager gesteckt? Während einer speziellen Führung zum Thema „Muslime im KZ-Dachau“ konnten 26 Jugendliche und drei Begleiter:innen ihre Fragen zu diesem dunklen Kapitel deutsch-muslimischer Geschichte stellen. Dunkel deshalb, weil erschreckend, aber auch dunkel, weil weitestgehend unbekannt. Das war aber nicht alles.
Die Jugendlichen, die aus dem ganzen Bundesgebiet in München zusammengekommen waren, gingen gemeinsam auf die Suche nach „Muslimischen Spuren in deutscher Heimat“. Der Rahmen: Das gleichnamige Projekt des SmF-Bundesverbandes führt jährlich eine Bildungsreise für Jugendliche durch. Diesmal ging es um Muslimische Spuren in Geschichte und Gegenwart in der bayrischen Landeshauptstadt.
Die viertägige Reise führte die Jugendlichen kurz nach ihrer Ankunft in der zentral gelegenen Jugendherberge quer durch die Münchner Altstadt über die ersten Besichtigungspunkte zum ersten Highlight. Denn Projektleiter Taner Yüksel und Projektmitarbeiter Michael Pfaff hatten ein dichtes Programm für die viertägige Reise gestrickt. Und so ging es gleich zu einem besonderen Ort deutscher Muslim:innen in München.
Seit über 40 Jahren befindet sich die Burhaniyya Tariqa in einem bürgerlichen Altstadthaus in der Münchner Innenstadt. Die Jugendlichen und ihre Begleiter:innen wurden von diesem Sufi-Orden herzlich empfangen. An diesem heißen Donnerstag im Sommer standen alle Fenster und Türen des Hauses weit offen. Das war schon symbolisch für die Offenheit der Burhaniyya, die die Gäste für den Abend eingeladen hatte, an dem sie wöchentlich ihre Hadra, ihre meditativen Gruppenübungen mit Gebeten und Gesängen durchführt. Neben den knapp 30 Gästen kamen auch etwa 40 Mitglieder aus dem Burhaniyya-Orden, Männer und Frauen, Jung und Alt, im Versammlungsraum im Erdgeschoss zusammen. Gefolgt wurde die Hadra von einem Gespräch in großer Runde. Die Fragen waren zahlreich, denn für fast alle Jugendlichen war es ihr erster Besuch bei einer solchen muslimischen Gemeinde, deren Religionspraxis den meisten unbekannt war. Bei gemeinsamem Essen und Tee in kleinen, angeregten und heiteren Gesprächsrunden ließ die Gruppe den Abend ausklingen.
Am zweiten Tag der Reise ging es dann mit 9-Euro-Ticket, Bahn und Bus in die KZ-Gedenkstätte Dachau in der 30 km vom Münchner Zentrum entfernten Kleinstadt. Im Vorfeld war die Gedenkstätte bereit, sich auf die speziellen Wünsche der Projektmitarbeitenden einzulassen und eine Führung zum Thema „Muslime im KZ-Dachau“ durchzuführen. Die wissenschaftlich ausgerichteten Gästeführer der Gedenkstätte zeigten eine große Bereitschaft und Interesse, sich auf diese Thematik vorzubereiten. Die Gruppe war sichtlich betroffen und beeindruckt von diesem Ort. Neben dem Lageralltag bekamen sie viele Eindrücke davon, wie es insbesondere den muslimischen Inhaftierten im KZ ergangen war.
Am Nachmittag ging es zum Münchner Forum für Islam, einer kleinen, aber sehr regen Moschee und Begegnungsstätte mit Blick auf die nur 200m Luftlinie entfernten Frauenkirche. Auch hier: Ein offener und freundlicher Empfang, bei dem der Imam und ein Vorstandsmitglied von den zahlreichen Aktivitäten des Vereins berichteten. Ziel: Ein offenes Haus für alle gesellschaftlichen Gruppen und ein Teil der Stadtgesellschaft zu sein. Ob Musikveranstaltungen, Obdachlose oder queere Gruppen, keines der die Gesamtgesellschaft beschäftigenden Themen lassen die Macher:innen des Vereins bei ihren Begegnungsveranstaltungen aus. Seit Jahren bemühen sie sich um einen Ausbau des Gebäudes. Doch dies ist in München, der Stadt mit den teuersten Immobilien in Deutschland, wo Baugrundstücke rar sind, ein langer Weg.
Auf die Frage, was ihnen an der Bildungsreise am besten gefallen habe, sagten viele Jugendliche im Anschluss: Die Fahrradtour! Diese kam am dritten Reisetag. In drei Zehner-Gruppen ging es auf geliehenen Fahrrädern auf der Suche nach Muslimischen Spuren in München rund um die Stadt. Das Nymphenburger Schloss, der Olympiapark, das Muhammad Iqbal Denkmal in Schwabing, quer durch den Englischen Garten zur ältesten Moschee Münchens in Freimann. Die Radler:innen mussten schonmal kraftvoll in die Pedale treten, ohne aber bis zur Abgabe der Räder am Abend ihre Heiterkeit zu verlieren. Danach hatten dann alle gerade noch so genug Energie für den Workshop, in dem das Gesehene in großer Runde reflektiert wurde. Die Eindrücke waren jedoch so intensiv gewesen, dass alle wieder nach der erschöpfenden Tour hellwach wurden.
Am Abreisetag wartete das Münchner Stadtmuseum auf die Jugendlichen. Wieder mit einer Spezialführung. Diesmal ging es um die Migrationsgeschichte der Stadt, mit dem sich das Museum nunmehr seit über fünf Jahren intensiv beschäftigt. Und so war das Feedback der Gruppe einhellig: Migration ist offenbar kein Phänomen der Neuzeit. Deutlich wurde ihnen, dass eine Stadtgeschichte ohne das Verständnis der Migrationsbewegungen unvollständig bleibt. Doch wurde ihnen auch klar, dass das Thema Migrationsgeschichte räumlich und inhaltlich viel mehr Raum in Museen bekommen müsse, um der Bedeutung des Themas gerecht zu werden.
Vier Tage mit Jugendlichen und jungen Männern und Frauen auf der Suche nach muslimischen Spuren in Geschichte und Gegenwart bedeutet nach eigenen Angaben der Jugendlichen, etwas zu erfahren, von dem sie zumeist vorher noch nie etwas gehört hatten. Dass Muslime und Islam in Deutschland eine viel ältere Geschichte haben, als die Geschichte der Migration nach Anwerbung von Arbeitskräften ab den 60er Jahren, für viele war dies ein Wechsel ihres Blickwinkels. Ein Teilnehmer aus der Gruppe fasste es dann in diesem Satz zusammen: „Das muss ich meinem Geschichtslehrer erzählen!“
Das Projekt „Muslimische Spuren in deutscher Heimat“ des SmF-Bundesverbandes wird vom Bundesministerium des Innern und für Heimat gefördert. Es ist 2021 mit Workshops, Vorträgen und einer Bildungsreise nach Berlin, Potsdam und Dresden gestartet. Mittlerweile gibt es auch Jugend-Workshops in Kempten (Allgäu) und Stuttgart. Im dritten Jahr 2023 soll das Projekt um zwei weitere Projektstandorte ausgebaut werden.