15.11.2019, Köln. Die soziale Situation von Muslimen ist regelmäßig Thema öffentlicher Diskurse. Doch welche Sichtweise haben muslimische Fachkräfte in der Sozialen Arbeit auf diese Debatten und auf ihre muslimische Klientel? Um für diese und ähnliche Fragen ein Forum zu bieten und die Stimme muslimischer Fachkräfte zu stärken, gründete der Sozialdienst muslimischer Frauen in Köln ein Netzwerk, das sich diesen Fragen widmen soll.
Am 14. November traf nun das Netzwerk Muslimische Fachkräfte in der Sozialen Arbeit in der Verbandszentrale des SmF in Köln-Porz das erste Mal zusammen. Auf die Begrüßungsansprache der Bundesvorsitzenden des SmF, Ayten Kılıçarslan, folgten Impulsreferate der Abteilungsleiterin Integration des Ministeriums für Kinder, Frauen, Familie und Integration (MKFFI), Aslı Sevindim, und der emeritierten Soziologin Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning (Universität Duisburg-Essen), einer der renommiertesten Pionierinnen der Migrationsforschung. Im Anschluss diskutierten die Fachkräfte aus Sozialpädagogik, Psychotherapie und Gesundheitsberufen über die Vorträge und deren Bezug zu ihrem Arbeitsalltag.
Aslı Sevindim berichtete von der Einrichtung der Koordinationsstelle für muslimisches Engagement, das darauf abziele, dem Dialog mit Muslim*innen in NRW einen neuen Rahmen zu geben. Muslime leisteten eine wertvolle Arbeit sowohl ehren- als auch hauptamtlich, jedoch stelle sich die Frage, ob dieses Engagement auch in der Öffentlichkeit überhaupt präsent sei. Die notwendige Öffentlichkeit für das Engagement von Menschen, die „ihr Wertegerüst als muslimisch verstehen“, solle durch die Koordinierungsstelle geschaffen werden. Die Unterstützung erfolge dabei teilhabe-, zielgruppen- und bedarfsorientiert.
(Näheres zur Koordinierungsstelle muslimisches Engagement, siehe https://www.mkffi.nrw/koordinierungsstelle-muslimisches-engagement-nrw-im-mkffi)
Prof. Dr. Ursula Boss-Nünning forscht seit 1972 zum Thema Migration und seit 1985 zu Migranten*innen in der Wohlfahrtspflege und gehört hierbei zu den Pionierinnen ihres Fachs. Zwar habe sich ihr Schwerpunkt beim Thema Wohlfahrt auf Russlanddeutsche bezogen, aber im Wesentlichen träfen die Erkenntnisse daraus auch auf die „Sicherung von Teilhabe für muslimische Organisationen in der Wohlfahrtspflege“ – so ihr Vortragstitel – zu. Schon 1995 sei festgestellt worden, dass das Hilfesystem spezifische Gruppen vor allem dann nicht erreiche, wenn Krisen kommen. Hier gebe es „Inanspruchnahme-Barrieren“. Sie führte dies hauptsächlich auf historische Gründe in der Versorgung von Migranten in der Wohlfahrtspflege zurück. Der Ansatz der Versorgung sei von paternalistischen Mustern geprägt. Zwar habe man in den letzten Jahren diese strukturelle Problematik auf Bundesebene erkannt, aber in den Kommunen und Landkreisen sei dies noch nicht angekommen. Muslimische Organisationen benötigten für den Aufbau eigener Wohlfahrtsstrukturen Unterstützung, vor allem aus der Politik. Die im Wesentlichen vom Ehrenamt getragene Arbeit in muslimischen Organisationen brauche das Hauptamt, mit dem mehr Ausbildung und spezifische Methoden der Sozialen Arbeit eingeführt würden. Der muslimischen Wohlfahrt fehle es an einer Lobby, aber „Jedes Thema braucht einen Anwalt“, sagte Boos-Nünning abschließend.
Bei der anschließenden Diskussion wurde die Haltung zur Diversität bei manchen etablierten Trägern in der Wohlfahrtsarbeit kritisch betrachtet. Muslimische Fachkräfte würden von ihnen oft nur deshalb eingestellt, weil man die muslimische Zielgruppe nicht mehr erreiche. Hierbei sei auch für die Politik eine Lücke in der Versorgen sichtbar. Diese Lücke könne laut Boos-Nünning von muslimischen Organisationen geschlossen werden, die Wohlfahrtsstrukturen aufbauen sollten. Die Politik sei dabei verpflichtet, sie zu unterstützen. Die meisten muslimischen und migrantischen Vereine seien klein und ihre strukturellen Hürden bei der Professionalisierung bekannt, so Sevindim. Das Forum für muslimisches Engagement könne ihnen eine Stimme verleihen. Ohne eine Stimme bzw. eine Lobby gehe es nicht. Ein weiteres Diskussionsthema war auch die Versorgung von älteren Migranten. Sie gingen in den allgemeinen Angeboten unter, da diese den Bedarfen dieser Zielgruppe nicht entsprächen. Eine muslimische Soziale Arbeit sei generell wichtig. Dabei gehe es nicht nur darum, ob sich die Klientel gut aufgehoben fühle, sondern auch darum, ob ihre Interessen adäquat vertreten werden. Zum Abschluss wurde der Austausch in einem Netzwerk muslimischer Fachkräfte in der Sozialen Arbeit als wichtig bewertet. Hier müsse weiter diskutiert werden. Das nächste Netzwerktreffen findet am 23. Januar 2020 statt.