Anerkennung statt Ausblendung – Muslimische Stimmen fehlen im Koalitionsvertrag 2025

14.04.2025

In ihrer Stellungnahme zum Koalitionsvertrag 2025 kritisiert die muslimische Wohlfahrt die vollständige Ausblendung muslimischer Perspektiven. Der Begriff Muslime kommt im gesamten Vertrag nicht ein einziges Mal vor – das verletzt das Prinzip gleichberechtigter Teilhabe. Auch die Begriffe Islam und Migration werden fast ausschließlich negativ konnotiert. Der SmF-Bundesverband fordert eine offene Gesellschaft, die auch muslimisches Leben anerkennt und fördert.

Gute Signale – aber nur für einige

Mit dem Koalitionsvertrag 2025 haben CDU/CSU und SPD wichtige Weichenstellungen für die kommenden Jahre vorgenommen. Einige Vorhaben begrüßen wir ausdrücklich – darunter die Anhebung des Mindestlohns, die Erhöhung der Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale sowie steuerliche Verbesserungen für gemeinnützige Organisationen. Auch die Ausweitung der Mütterrente und geplante Investitionen in Kitas und Schulen sind Zeichen gesellschaftlicher Verantwortung, die vielen Menschen zugutekommen werden.

Doch während zentrale gesellschaftliche Gruppen Beachtung finden, bleibt eine andere faktisch unsichtbar: die über fünf Millionen Muslim*innen in Deutschland.

Kein einziges Mal: Muslim*innen

Im gesamten Koalitionsvertrag findet sich kein einziger Bezug auf „Muslime“ oder „Musliminnen und Muslime“. Dabei stellen sie nach Katholiken und Protestanten die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland dar. In einem Land, das sich selbst als „offene Gesellschaft“ versteht, ist diese Ausblendung nicht nur symbolisch problematisch – sie widerspricht auch dem Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller.

Stattdessen taucht der Begriff „Islam“ lediglich dreimal auf – und zwar ausschließlich im Kontext sicherheitspolitischer Bedrohung („Islamismus“). Eine differenzierte Auseinandersetzung mit muslimischem Leben, religiöser Vielfalt oder zivilgesellschaftlichem Engagement muslimischer Organisationen fehlt vollständig. Diese Verengung verletzt das Selbstverständnis einer pluralen Demokratie.

Migration oft erwähnt – selten wertschätzend

Der Begriff „Migration“ wird im Vertrag 33-mal erwähnt – davon 6-mal in Überschriften, einmal im Kontext von „Migration von Kupferwaren“, zweimal in Amtsbezeichnungen. Bleiben rund 24 inhaltlich relevante Nennungen. Nur eine davon ist neutral – im Zusammenhang mit

Werbemaßnahmen der Bundeswehr. Ansonsten dominiert eine Sprache der Begrenzung, Auflagen und Rückführungen.

Lediglich unter dem Begriff „Einwanderung“ finden sich punktuell positive Bezüge – etwa im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt. Eine tatsächliche Erzählung von Zugehörigkeit oder sozialer Integration bleibt aus.

Rassismus: Kaum benannt, nicht bearbeitet

Der Begriff „Rassismus“ taucht lediglich viermal auf. Einmal in Verbindung mit Antisemitismus, dreimal in Zusammenhang mit dem Vorhaben, eine neue Rassismusdefinition zu erarbeiten. Es fehlen konkrete Maßnahmen – insbesondere gegen antimuslimischen Rassismus. Die Empfehlungen des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit bleiben unberücksichtigt.

Stimme aus der muslimischen Wohlfahrt

„Wir möchten als muslimische Bürger*innen dieses Landes und als zivilgesellschaftlich organisierte Wohlfahrtsorganisation der Bundesregierung unsere Bereitschaft signalisieren, weiterhin für den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit der Politik zusammenzuarbeiten. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Kritik als konstruktiver Beitrag verstanden wird – mit dem Ziel, gemeinsam Strategien zu entwickeln, die Teilhabe und Zusammenhalt stärken. Was im Koalitionsvertrag versäumt wurde, kann durch konkretes Handeln zum Leben erweckt werden. Der Ausbau von Angeboten für besondere Zielgruppen – etwa im Frauenschutz, in der Migrations- oder Schwangerschaftsberatung – sowie der Aufbau von Wohlfahrtsstrukturen muslimischer Träger gehören aus unserer Sicht auf die gemeinsame Agenda“, so Ayten Kılıçarslan, Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende des SmF-Bundesverbands.

Unser Appell: Sichtbarkeit, Anerkennung, Gleichstellung

Eine demokratische Gesellschaft kann nur dann bestehen, wenn sie alle ihre Mitglieder anerkennt und einbezieht – auch und gerade jene, die in öffentlichen Debatten zu oft marginalisiert oder stigmatisiert werden.

Wir fordern:

· die Anerkennung muslimischer Träger als gleichwertige Partner im Sozial- und Bildungsbereich,

· eine strukturelle Förderung muslimischer Wohlfahrt,

· die Benennung und Bekämpfung antimuslimischen Rassismus,

· eine faire und realistische Sprache in Migrations- und Integrationspolitik.

Muslimische Zivilgesellschaft ist längst Teil der Lösung – sie verdient es, als solche gesehen zu werden.

Hier kann der Koalitionsvertrag 2025 eingesehen werden