100 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern fortschrittlichere Antidiskriminierungsrechte und tiefgreifende Reformen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Heute hat der SmF-Bundesverband gemeinsam mit den anderen Organisationen als zivilgesellschaftliches Bündnis „AGG Reform-Jetzt!“ eine umfassende Ergänzungsliste zum Gesetz sowie eine Stellungnahme mit 11 zentralen Forderungen vorgestellt, welche an die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung übergeben wird.

Die Forderungen sollen das Bundesjustizministerium dazu aufrufen, diese bei der AGG- Reform zu berücksichtigen. Denn der Diskriminierungsschutz des AGG greift nicht im Bereich des staatlichen Handelns. Somit bleibt das AGG hinter den Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien zurück.

Im Folgenden möchten wir die Punkte der gemeinsame Stellungnahme besonders hervorheben:

Punkt 1: Anwendungsbereich auf öffentliche Stellen ausweiten

„Es ist für Bürger*innen schlicht nicht nachvollziehbar, warum ein schwächerer Diskriminierungsschutz besteht, wenn die Diskriminierung vom Staat ausgeht als von privaten Unternehmen. Dabei sollte angesichts der Vorbildfunktion des Staates ein Erst-Recht-Schluss gelten. Diskriminierungen im Bereich der Ämter und Behörden werden von Betroffenen als besonders gravierend empfunden, da sie im Namen des Staates erfolgen und in einem Kontext stattfinden, der von einem hohen Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnis geprägt ist. Die Aufnahme des staatlichen Handelns in das AGG stärkt den aktiven Umgang mit Diskriminierung, erhöht die Rechtssicherheit für alle und befähigt Betroffene ihre demokratischen Rechte einzufordern. Neben dieser Erweiterung des Diskriminierungsschutzes auf öffentliche Stellen braucht es proaktive Maßnahmen zur Erreichung von Chancengleichheit.“

Unsere geschäftsführende Vorstandsvorsitzende, Ayten Kılıçarslan kommentiert: „Wir begrüßen den Aufbau neuer Antidiskriminierungsberatungsstellen und die Aufnahme neuer Träger:innen, um den Zielgruppen den flächendeckenden Zugang zu zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen gegen Diskriminierung erleichtern zu können“.

Punkt 2: Rechtsdurchsetzung stärken u.a. durch Einführung einer Verbandsklage

„Angesichts der hohen Hürden beim gerichtlichen Diskriminierungsschutz ist eine Stärkung der Rechtsdurchsetzung dringend geboten, damit Betroffene ihr Recht auf Gleichbehandlung effektiv in Anspruch nehmen können. In der gemeinsamen Stellungnahme werden hierzu folgende Maßnahmen, allen voran die Einführung eines kollektiven Rechtschutzes beschrieben:

a) Etablierung eines kollektiven Rechtsschutzes

b) Einrichtung eines Rechtshilfefonds

c) Auskunftsansprüche für Antidiskriminierungsverbände

Für Antidiskriminierungsverbände sollte ein Auskunftsrecht gesetzlich verankert werden, um die Rechte von Betroffenen zu stärken.

d) Senkung der Anforderungen an Antidiskriminierungsverbände

Zivilgesellschaftliche Antidiskriminierungsberatungsstellen beraten Betroffene von Diskriminierung parteilich, vertraulich und kostenlos, da die Beratung durch öffentliche, befristete Projektförderung finanziert wird.

e) Gesetzliche Verankerung von Antidiskriminierungsberatung

Aktuell gibt es nur in wenigen Bundesländern ausreichend Antidiskriminierungsberatungsstellen. Dadurch sind Betroffene mit der erfahrenen Diskriminierung oftmals allein gelassen. Es muss sichergestellt werden, dass allen Betroffenen von Diskriminierung ein wohnortnahes Beratungsangebot zur Verfügung steht. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes muss gemeinsam mit den Bundesländern dieses Angebot aus- und aufbauen und finanziell absichern, so wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Im AGG sollte ein gesetzlicher Förderauftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes für die nachhaltige Finanzierung von unabhängiger, zivilgesellschaftlicher Antidiskriminierungsberatung verankert werden.“

Neben diesen Maßnahmen unterstützen wir die Forderung nach einer Erweiterung der Diskriminierungskategorien. Durch die Aufnahme weiterer beziehungsweise konkreterer Diskriminierungskategorien im AGG sollen bestehende Schutzlücken geschlossen werden. Zu diesen Schutzlücken zählen sozialer Status, Sprache, Staatsangehörigkeit, chronische Krankheit, Körpergewicht sowie familiäre Fürsorgeverantwortung. Die Einführung eines offenen Katalogs im AGG ist erforderlich, um gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen.  

Zu Punkt 5: Diskriminierungsformen erweitern

„Die in § 3 AGG genannten fünf Diskriminierungsformen sind in der Praxis nicht ausreichend, um alle Diskriminierungen zu erfassen und müssen daher erweitert werden.

a) Versagung von „angemessenen Vorkehrungen“ und der „Barrierefreiheit“ als Form von Diskriminierung definieren

Die Barrierefreiheit zielt darauf ab, durch die Einhaltung von Kriterien zur Barrierefreiheit, einer Vielzahl von Menschen mit Behinderungen den Zugang etwa zu einer Dienstleistung zu ermöglichen. Angemessene Vorkehrungen wiederum sollen Menschen mit Behinderungen im Einzelfall die Hilfestellung zukommen zu lassen, die in der konkreten Situation benötigt wird.“

Als SmF-Bundesverband verstehen wir unter Barrierefreiheit auch den barrierefreien Zugang zu Informationen und Dienstleistungen. “Die Inhalte des AGG müssen für alle Bürger:innen in leicht verständlicher Sprache zugänglich sein.  Hier sehen wir die Machtstrukturen in der Verantwortung. Zudem müssen Alle zu ihrem Recht kommen. Dafür brauchen wir insbesondere leicht zugängliche Antidiskriminierungsberatungsstellen für besondere Zielgruppen”, fordert Kılıçarslan. 

       b) Schutz vor sexueller Belästigung auch im Zivilrechtsverkehr sicherstellen

      c)Erweiterung um die assoziierte Diskriminierung

Der im AGG zugrunde gelegte Diskriminierungsbegriff muss an die Rechtsprechung des EuGH angepasst und um die assoziierte Diskriminierung erweitert werden, damit auch Fälle drittbezogener Diskriminierung vom AGG erfasst sind. So können Personen, die ein enges Näheverhältnis zu der von Diskriminierung betroffenen Person haben, wie dies in der Regel der Fall ist bei Elternschaft, Lebenspartner*innen, Geschwistern und Kindern, ebenso Ansprüche auf Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend machen, auch wenn sie nicht selbst aufgrund einer AGG-Kategorie Diskriminierung erfahren haben.“

Punkt 6: Geltendmachungsfrist anheben

„Die sehr kurze Geltendmachungsfrist von 2 Monaten im AGG hat in der Vergangenheit maßgeblich dazu beigetragen, die Rechtsdurchsetzung zu behindern beziehungsweise zu verunmöglichen. Die vorherige Bundesregierung hatte bereits in der letzten Legislatur beschlossen, die Frist des AGG von 2 Monaten auf 6 Monate zu verlängern. Die Frist sollte jedoch auf mindestens 12 Monate angehoben werden.“

Die vollständige Stellungnahme des advd kann unter folgendem Link eingesehen werden:

https://www.antidiskriminierung.org/ 

Als SmF-Bundesverband arbeiten wir mit unseren Mitgliedsorganisationen daran, ein besseres Zusammenleben in Deutschland zu erreichen und präventiv gegen jegliche Form von Rassismus und Diskriminierung vorzugehen. Ein erster wichtiger Schritt ist es, das Phänomen zu verstehen, um anschließend aktiv entgegenwirken zu können. Um die Sichtbarkeit für das Phänomen zu erhöhen und die von Rassismus und Diskriminierung Betroffenen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, haben wir 2021 eine Umfrage gestartet. In dieser Umfrage berichteten ehrenamtlich arbeitende Pat:innen und Mentor:innen mit eigener Migrationsbiografie von ihren Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung bei sich und ihren betreuten Mentees. An dieser Befragung nahmen insgesamt 435 Pat:innen bundesweit ab 14 Jahren teil und berichteten über ihre eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen von 969 Mentees.  

Hier geht es zu unserer Umfrage:

https://smf-verband.de/wp-content/uploads/2022/07/SmF_Analyse_AntiDis-2.pdf